Caramelo aka HotlineDino aka Minigott ist vieles, aber vor allem fraglos ein Mann, der mich schon lange begleitet. Seine Musik war für meine persönliche Entwicklung und eigenen musikalischen Ausflüge stets Inspiration und noch heute habe Ich Tracks wie „Jede Sekunde“ (2014) im Kopf, wenn Ich an die Sommer meiner Jugend denke. Im vergangenen Jahr durfte Ich Caramelo einige Male fotografieren und ihn dabei näher kennenlernen.
Versucht man zu den Anfängen Caramelos Musik-Werdegang zu gelangen, stößt man auf Soundcloud Tracks, die über eine Dekade Jahre alt sind. Lost Tapes wie „Zwischen 2 Welten“ (2013), die vom Leben des damals 20-jährigen Melvin aus Rheda-Wiedenbrück berichten oder etliche, nur auf Kassette erhältliche Tapes mit dunklem Memphis Sound, sind nicht mehr aufzufinden und zeugen von Caramelos jahrelangem Output. Schon damals zeichneten sich Tracks wie „Verse der Gelehrten“ (2013) durch experimentellen Sound und spirituelle Bars aus. In den atmosphärischen Werken voller symbolischer Referenzen zu Themen wie Astrologie, Selbstfindung und gesellschaftlicher Reflexion machte Caramerlin in den Jahren ab 2016 zunächst mit seinem Debüt „Slidephonefunk“ und ein Jahr später, auf etwas größerer Bühne mit dem Tape „Orange Mound“ auf sich aufmerksam und verschaffte sich schnell einen Platz in der aufstrebenden Rapszene. Neben Künstlern wie Yung Hurn und Jonny5 galt er im Umkreis von Live from Earth als einer der vielversprechendsten Newcomer. Es folgte das legendäre Tape „Tales from the Dungeon“ (2017) und im Folgejahr mit „Sirius B“, „Sport EP No. 1“ mit Jonny5 und „Stairway 2 Heaven“ gleich drei weitere EPs, die Caramelo endgültig einen festen Platz in der deutschsprachigen Szene verschafften. Vor allem mit dem Wiener Umfeld rund um Yung Hurn, Jonny5 und Meilner publizierte Caramelo in dieser Zeit viele Features und wird auch noch heute häufig mit diesem Kreis assoziiert - „Der letzte geile Deutsche, doch sie kennt mich von Yung Hurn“ (Berlioz, 2023). Im selben Jahr erscheint Caramelo noch weitere drei Mal auf der EP „Comando Amore“ von den Produzenten Acoid und Modem, was im deutschsprachigen Raum eines der ersten Producertapes darstellt. Im Jahr 2019 folgten Singles wie „Pepsi“, „Sternzeichen“ mit Ansu oder „Sippe Chantré“ und im Februar 2020 das Album „Chaos“, auf welchem Caramelo getreu dem Motto „Ein Wassermann tut, was ein Wassermann tut“ (Wassermann, 2017) aus Soundcloud-Ästhetik, Memphis-Rap und spannenden Features seinen eigenen Sound fusioniert. Nachdem dieses Album noch mediale Aufmerksamkeit auf sich zog und vieles auf die Fortsetzung von Caramelos rasanten Aufstieg hindeutete, wurde es in den Folgejahren deutlich ruhiger um den Künstler.

Die Corona-Krise sorgte ab März 2020 in der gesamten Kunstszene und vor allem in der Livebranche für tiefgreifende Einschnitte. So auch für Caramelo, der seinen Missmut nicht nur auf Tracks wie „Sommer 2020“ (2020), sondern auch auf Instagram kundtat und so weniger durch musikalische, als durch politische Statements in Erscheinung trat. Obwohl mit dem „Styx Tape“ im Oktober eine wirklich gute EP mit den internationalen Features Lamadi und Zelly Ocho erschien, blieb es in der Berichterstattung in der Folge ruhig um den Artist. 2021 veröffentlichte er das zweiteilige Album „Der Tragödie“ gemeinsam mit dem slowenischen Produzenten Spartadakar, der bis dahin zumindest auf deutscher Bühne ein völlig unbekannter war, heute allerdings mit seinem Kollektiv „CYC“ größere Aufmerksamkeit auf sich zieht. Das Doppelalbum zeichnet sich durch besonders dunkle Atmosphäre aus und hob sich stark vom damaligen deutschen Sound ab. 2022 erschienen neben ein paar Singles die EP´s „Sumpffieber“, mit härteren und „Lebensarte“, mit eher ruhigeren und melancholischen Songs. Des Weiteren erscheint Melo auf dem „Bootleg Tape“ von Viko63 und Penglord, die kurz zuvor mit der Aboveground Session und dem Track „Mucho Gusto“ viral gegangen sind. Auf dem Hit „Grand Katastrophe“ (2022) unterstreicht er auch hier erneut, szeneintern enorm hohes Ansehen zu genießen und Inspiration für viele zu sein. Das Folgejahr bietet mit einigen Singles und den Tapes „Geheimgeometrie“ und „Katzenmensch“ einiges und präsentiert den altbekannten Caramelo auf sehr frischen Sounds. Auch hierbei beweist Melo wieder mal, ein Auge für aufstrebende Artists zu haben und featured neben Humanangst erstmals Dicken 45 und Benito. 2024 veröffentlichte Caramelo das Album „Dunkelblaue Edition“ und konzentrierte sich neben einer kleinen Tour zunehmend aufs Auflegen. So taucht er beispielsweise auf Events von Mitmischen Berlin oder Elmstreet auf und zockt alleine, b2b mit Artists wie Eliahaze oder in einem hybrid aus DJ und Livegig. Die Wave elektronischer Musik wird dabei, genau wie vorige Trends, elegant und sich treu bleibend von Caramelo implementiert, ohne sich dabei zu verlieren. Ich hatte die Möglichkeit einige unveröffentlichte Tracks zu hören und kann versichern, dass auch die zukünftigen Releases modernen Sound und einen frischen Caramelo präsentieren werden. Neben all diesen Veröffentlichungen, wird der treue Soundcloudhörer auch immer wieder mit Soundcloud-Exclusives oder Flips von bekannten Tracks auf der Streamingplattform fern der Industrie versorgt.
Abseits des Solodaseins, ist Caramelo neben Skinny Finsta, Macksta C und Dr. Törner Teil der KatzenbuckelClicke, und manche munkeln sogar, dass er eines der unbekannten Gesichter der Bielefeld Murder Boys ist. Er veranstaltet mit seinem Nest, den Sumpfjungs und den eben genannten Crews jährlichden den „Memphis Gangsta Rave“, auf welchem häufig mehr kunstschaffende als kunstkonsumierende Gäste zu finden sind und stellt ein Event auf die Beine, bei welchem in den letzten Jahren Newcomer wie SQF2000 oder Pako Peng und DJ´s wie Carl Hang oder Haaizey auftraten.
Betrachtet man Melos Lineups und Featuregäste genauer, fällt auf, dass der Künstler scheinbar einen sehr guten Instinkt für aufstrebende Artists und andere Genres hat. Neben Features aus seinen eigenen Reihen und seiner Heimat Rheda-Wiedenbrück, wie Pakkal78, Sminny oder Kobe Grind, arbeitet Melo auch immer wieder mit nationalen oder internationalen, zumindest im Underground sehr namenhaften Künstlern, wie Maliq (ehemals Killdummies), Haiyti oder Lamadi zusammen. Auch die Produzenten hinter den Tracks sind bei genauerem Blick feste Größen oder spannende Newcomer, wie beispielsweise Mistersir, DJ Swagger, Feineboi, Skee Mask oder DJ Creep.

Eine der größten Faszinationen an Caramelo ist und bleibt für mich die unglaubliche Differenz zwischen szeneinterner und industrieller Wertschätzung seiner Arbeit und Person gegenüber. Caramelos Werk zeichnet sich durch Independence aus ohne dabei Hass gegenüber der Industrie zu sähen. Noch heute verbindet Caramerlin mystische Sagen mit urbanem Sound und findet so Worte, die man noch nicht unendlich oft in algorithmus-geschaffenen Playlists gehört hat. In einer Szene die schnelllebiger als je zuvor ist und in der die meisten „Künstler“ nach ihrem Blowout schneller in der Versenkung verschwinden, als sie aufgetaucht sind, verkörpert Caramelo mit Tiefe, Innovation und künstlerischer Vision häufig die Opposition. Melo ist einer der wenigen Künstler, der bedenkenlos authentisch sowohl über Geldsorgen, Liebe und Konsum rappen kann, ohne dabei abgedroschene Phrasen zu benutzen oder totgehörte Perspektiven einzunehmen. Dabei erfindet er sich immer wieder neu, ohne sich anzubiedern oder langweilig zu werden, was in Anbetracht der langen Karriere äußerst bemerkenswert ist. So, genug von der Lobeshymne, solltest Du Caramelo noch nicht kennen, check Ihn aus!

„Du weißt, ich mach´Sport, Trappen ist ein Teamsport
Gebor´n bin Ich im Sumpf, 78 mein Teamsport
Liebe an die Jungs von LFE für den Support
Alles was Ich hab sind meine Eier und mein Wort“
(Twitterbeef, 2022)
Nach seinen ersten Veröffentlichungen über Live from Earth releaste Caramelo ab 2019 fast ausschließlich über den Kanal der Sumpfjungs. Doch was steckt eigentlich hinter diesem geheimnisvollen Namen?
Der Zirkel formt den Kreis seit 2019 und dabei sind die Sumpfjungs keine klassische Crew mit festen Mitgliedern oder Labelstrukturen – vielmehr eine kreative Bewegung und eine Community, die sich stetig wandelt. Merch, Events, Musik – die Sumpfjungs erschaffen ihren eigenen Kosmos. Der Name ist inspiriert von Caramelos Heimat Rheda-Wiedenbrück, einer Stadt in Nordrhein-Westfalen und steht für einen Lifestyle, eine Routine und eine Stadt aus der schwer rauszukommen ist, erklärt mir Melo. Die Vision bestehe darin, ein unabhängiges Sprachrohr einer Subkultur zu sein, fruchtbaren Boden zu hinterlassen und mit Ideen und deren Umsetzungen positiven Einfluss auf die unmittelbare Gesellschaft zu haben. Die genaue Besetzung der Gruppierung bleibt als Außenstehender undurchsichtig. Fester Bestandteil als Rapper sollen neben Caramelo aktuell Dicken 45, Benito, Sminny, Bazooka B, Fatbabyneymar und Pakkal78 sein. Als Produzenten und DJs werden sie ergänzt durch die Bielefeld Murder Boys, Jurek3000, 808leaf, Gonzo und Vettl. Komplementiert wird die Community durch die Visual Artists Sepia Antik, 4wibs und Lauwertz.

„Bei meinen Jungs, fließt der Sumpf durch die Adern“
(4dm, 2021)
Auf ihren Events treten und traten in der Vergangenheit Artists wie MCR-T, Kwam.e, Haaizey, Carlo Karacho, Carl Hang, Marcymane, Pislik88 oder Fergy auf. Diese Lineups bestätigen nicht nur das hohe szeneinterne Ansehen des Kollektivs, sondern auch ihre genreübergreifende Weitsicht. Besonders das Hotel Shanghai in Essen ist dabei vermehrt Austragungsort der Events. Die Sumpfjungs sind nicht nur musikalisch aktiv, auch mit Merchandise treten sie online oder auf Events in Erscheinung. Neben Hoodies, Shirts und Socken entstand ein Schal in Zusammenarbeit mit Felix Sandvoss, der mit Sternzeichen-Designs Caramelos Faszination für Astrologie erneut zum Ausdruck bringt. Darüber hinaus wurden mit dem Salon Skatestore aus Bielefeld exklusive Decks produziert.
Während Caramelo als Aushängeschild der Sumpfjungs gilt, treten zunehmend Newcomer in den Vordergrund. Besonders Dicken 45 und Benito haben zuletzt durch Releases auf dem Sumpfjungs-Kanal auf sich aufmerksam gemacht. Die Sumpfjungs bleiben ein Mysterium und genau das macht ihren Reiz aus. Keine festen Strukturen, keine klaren Grenzen – nur eine mystische Bewegung, die Musik, Kunst und Style auf ihre eigene Art neu definiert.

„Nicht ohne Grund gibt es kein Bielefeld,
Sumpfjungs aus dem Untergrund (…) Seven-Eight“
(Rocks in den Socks, 2018)